Die Galgenfrist
Eine traurige Geschichte spielte sich nach einem Großbrand in Templin ab.
Not und Jammer waren unbeschreiblich, Hab und Gut lagen, soweit noch vorhanden, in den Gassen und wurden oft Beute von Langfingern. Einer von diesen war der Viehtreiber Matthias Zimdal, der dafür büßen musste, und das kam so:
Als das Brandgut noch schwelte, entdeckte er ein kleines Kästchen mit einem schönen silbergetriebenen Deckel, das bei Verkauf einige Silbergroschen versprach. Zimdal lief mit dem Kästchen zum Peterischen (Prenzlauer) Tor, um die Stadt zu verlassen. Aber das Tor war verschlossen, da alle beim Löschen helfen sollten. Deshalb verwehrte der Torwächter Lorentz schmal dem Zimdal auch den Durchlass und fragte nach dem Wohin. Langfinger Zimdal stotterte. Weil er eine Leibesvisitation fürchtete, schob er das Kästchen gewandt in die am Tor hängende Wamstasche des Torwächters und ließ sich abtasten. Da nichts Verdächtiges gefunden wurde, schickte man ihn zur Mithilfe zurück ins Stadtinnere.
Als nach der Wachablösung der Torwächter Schmal seinen Wams hängen ließ, um selbst unbehindert beim Wegschleppen verkohlter Balken zu helfen, entdeckte seine Ablösung zufällig das Kästchen in seiner Jacke.
Der Torwächter wurde verhaftet und ihm der Prozess gemacht. Angeklagt wurde er der Fledderei und des Diebstahls, und so lautete das Urteil Tod durch den Galgen. Da halfen alle Beteuerungen seiner Unschuld nichts, man warf ihn in den Kerker, und bereits tags drauf stand Schmal auf einer hohen Kiste unter der Galgenschlinge. Sehnsüchtig ging sein Blick noch einmal zurück auf die im Morgengrauen fern liegende Stadtmauer, das hohe Peterische Tor und den tief unten liegenden Templiner See. Da bewegte sich ein Boot mit hastigen Ruderschlägen dem Ufer zu. Niemand außer dem Todgeweihten achtete darauf. Die wenigen Schaulustigen blickten gespannt und ungeduldig auf das Tun des Henkers, der bereits den Strick mit der Schlinge um den Hals des braven Lorentz Schmal befestigte. Jetzt blieb nur noch die Kisten unter den Beinen des Delinquenten wegzustoßen, als gellende Rufe vom Ufer kamen: „Hängt ihn nicht, er ist unschuldig!“ – Aus dem Boot sprang ein Mann, keuchte die Uferböschung hinauf – es war Martin Zimdal, der wirkliche Dieb. Lorentz Schmal erkannte ihn sofort und wollte ihm entgegenlaufen. Beim Absprung von der Kiste vergaß er die Schlinge um seinen Hals, verlor den Halt. Blitzschnell zog sich die Schlinge zu und schnürte ihm die Luft ab, noch bevor der Henker den Strick vom Haken lösen konnte.
Langfinger Zimdal entging seiner gerechten Strafe nicht. Anderentags hing auch er am Galgen und blieb dort, bis sein Leib zerfiel – so wollte es der Richterspruch.“
Quelle: Templin – Eine märkische Stadt im Wandel der Geschichte; Schibri Verlag Milow